Donnerstag, 24. Mai 2012

Muriel Barbery: Die letzte Delikatesse


Das Leben in all seinen leckeren Facetten. Vor allem für Gourmets eine kleine Köstlichkeit.


Nun habe ich mich auch an Barberys Debütroman gewagt und traf wieder auf einige alte Bekannte aus Die Eleganz des Igels.

Hochphilosophisch beschäftigt sich die Autorin auch diesmal mit dem Protagonisten, hier einem sterbenden Restaurantkritiker, dem verblassenden Mega-Stern am Pariser Gourmethimmel. Es trieft vor philosophisch schweren Gedanken, wechselnd zart und zäher Geschmackspoesie. 

Er selber ist auf der Suche nach dem einzig wahren Geschmack, der letzten Delikatesse, die sich doch irgendwo im Fundus seiner jahrzehntelangen Erfahrungen finden muss. Worin gipfelt seine ewige Suche? In seiner Verzweiflung ist es das letzte, das ihn noch vom Sterben abhält. Eigentlich ein sehr schöner Gedanke.

Auch charmant ist die wechselnde Betrachtung, die Barbery in ihrem Folgeroman beibehält. Es erzählen immer wieder andere von dem sterbenden Gourmet. Seine Kinder, seine verschmähte Frau, seine unerfüllte Geliebte. Die zwiegespaltene Concierge, der träge Kater. Und jeder einzelne hat ein anderes Bild von ihm, das sich am Ende zu einem ganzen zusammenfügt.
Der besondere Satz:
"Er hört mir mit großer Aufmerksamkeit zu, und ich entdecke an ihm diese bei den Machtmenschen seltene Gabe, die einen erkennen läßt, wann die Parade aufhört, die Konversation, bei der jeder nur sein Gebiet markiert und seine Stärke demonstriert, und wann der echte Dialog beginnt."

Das Buch hinterlässt einen angenehmen Geschmack, wie eine hervorragend zubereitete Speise. Ein "Gôut", der jedoch auch nach einiger Zeit entschwindet und nur noch eine blasse Erinnerung zurücklässt. Alles in allem ein feines Amuse-Gueule für alle Sprach-Gourmets, das Appetit auf mehr Barbery macht, aber noch nicht ihre ganze Sprachgewalt zeigt.

Mittwoch, 23. Mai 2012

Kressmann Taylor: Adressat unbekannt


Kurz, schmerzhaft, erschütternd. Ein halbfiktiver Briefroman, der hauptsächlich zwischen den Zeilen geschrieben ist.

Dieses Büchlein wurde mir als weiterer Auswuchs der Bücherschenkaktion zum Tag des Buches in die Hand gedrückt - ich in absoluter Unkenntnis über Autorin und Titel und dementsprechend unvorbereitet auf das Kommende. Wie ich wusste, waren ein Großteil der anderen Exemplare an eine Schulklasse gegangen und das gab mir schon zu denken. Welches Buch aus dem Jahr 1938 kann Schüler von heute in den Bann ziehen - ohne dass der Lehrer mit einer das Halbjahreszeugnis gefährlich beeinflussenden Texterörterung droht?

Doch kaum hatte ich die ersten Seiten angelesen, ließ mich dieses schmale Bändchen nicht mehr los. Schlag auf Schlag folgt ein Brief auf den anderen, zwischen zwei Freunden, einem amerikanischen Juden und einem Deutschen, der gerade erst in seine Heimat zurückgekehrt ist.
Der anfänglich herzliche Ton der Freundschaft schlägt bald um, im Schatten von Hitlers Machtergreifung. Die beiden, die zuvor noch gemeinsam eine erfolgreiche Galerie in den USA betrieben hatten, wechseln bald auf eine andere Ebene, selbst in den geschäftlichen Briefwechseln klingt eine Nuance hindurch, die zutiefst erschüttert.
Martin, zuerst noch völlig frei von allen antisemitischen Gedanken wechselt erschreckend schnell das Politlager. Er versucht zunächst noch seine Ressentiments Max gegenüber zu entschuldigen, denn "er sei ja mit ihm nicht wegen, sondern trotz seiner jüdischen Abstammung mit ihm befreundet...". Und bald ist der Standpunkt eingenommen, Martin kappt alle Verbindungen zu seinem besten Freund. Es sei für seinene gesellschaftlichen Aufstieg nicht mehr tragbar, mit einem Juden in Kontakt zu stehen.

Während die Beklemmung beim Leser steigt, ist auch Max erstarrt von dem Wandel seines Freundes und nimmt ihn mit allen freundschaftlichen Boni zunächst nur als gedankliche Verirrung oder gar unterdrückte Anpassung wahr. Doch als seine Schwester, Martins ehemalige Geliebte, von ihm in die Hände der Nazis gespielt wird, kann auch er die Augen nicht mehr verschließen. Überraschend wird das Opfer aus der Ferne zum Täter, mit Worten malträtiert er Martin bis dieser ihn anfleht, ein Ende zu finden. Doch Max kennt keine Gnade für den Verrat seines Freundes, erbarmungslos treibt er es bis auf die Spitze.
Ein letztes Mal triumphiert der Unterdrückte bevor das Unaussprechliche über die Welt hereinbricht.

Wer war diese Autorin, die schon 1938 das Böse weit vorausahnte? Man weiß nicht viel von Kressmann Taylor, selbst ihren Vornamen will die Werbetexterin nicht verraten, die nur noch einen weiteren Roman veröffentlichte und dann von der Bildfläche verschwand. Dieser Briefwechsel, der tatsächlich nur aus unkommentierten Briefen besteht, entfaltet zwischen den Zeilen eine so ungeheure Kraft, dass man es kaum glauben mag.

Über ein halbes Jahrhundert verschwand dieses kleine, so einfach gestaltete Meisterwerk in der Versenkung bis es Anfang der Neunziger wieder einen berechtigten Platz in der literarischen Öffentlichkeit fand.
Der besondere Satz:
"Ach ja, Max, ich weiß, das wird Dir weh tun, aber Du musst der Wahrheit ins Gesicht schauen. Es gibt Bewegungen, die sind weit größer als die Männer, die sie tragen."

Sonntag, 20. Mai 2012

Jan Brandt: Gegen die Welt



Spannend, tief- und wahnsinnig. Vom Aufgeben und Weitermachen - die Abgründe des Menschen, vielschichtig seziert im beschaulichen Ostfriesland.

 
Da haben wir hier den Salat: Ein Buch, das mehr Zeit aufgesogen hat als erwartet und mich dabei galant fertig gemacht hat. Nein, das hatte nichts mit der Fülle der Seiten zwischen den Buchdeckeln zu tun (da bin ich schon mit ganz anderen Kalibern fertiggeworden, man mag es kaum glauben), vielmehr musste ich Sätze wiederlesen, zurückblättern, parallellesen. Ja, es war ein bisschen wie Sport machen. Ein kleiner Lesekampf (wer hält länger durch?), der es mir jetzt besonders schwer macht, die richtigen Worte dafür zu finden.

Einen Anfang könnte der besondere Satz machen:

"Was stimmt nich?"
"Alles. Die ganze Welt. Du, ich - alles falsch."
"Aber manches fühlt sich doch richtig an, findest du nich?"
So geht es Daniel Kuper, einem ganz normalen Jugendlichen in einem ganz normalen deutschen Ort. Nun ist die Normalität kaum mehr als schöner Schein und damit beginnen schließlich die Probleme. Es geschehen seltsame Dinge um Daniel herum, die ihm aus Sicht seiner Mitmenschen den Schuldstempel auf die Stirn drücken. Doch Daniel weiß es nicht, er weiß nicht, woher der Kornkreis kommt, der über Nacht auftaucht, oder die seltsamen Zeichen an den Häuserwänden. Ein wenig unbestimmte Mitschuld empfindet er als sein Mitschüler sich das Leben nimmt und ihm Wellen des Vorwurfs entgegenschlagen.

Für Daniel wird das einfache Leben, das hauptsächlich aus seinen Freundschaften mit allzu unterschiedlichen Jungs besteht, immer verworrener und befremdlicher. Den Gedanken, warum das Buch Gegen und nicht Für die Welt heißt, habe ich lange hin- und hergewälzt - denn Daniels Verhalten hat etwas Bemühtes, seine und die Welt der anderen zusammenzuhalten, ja besser zu machen. Eine sehr einsame Sichtweise, die seine Umwelt nicht mit ihm teilt.

Der Leser begleitet Daniel durch sein gewöhnliches Leben: Freunde kommen und gehen, die Schule gleitet vorbei, kleine Liebschaften blühen auf und fallen wieder in sich zusammen. Jedoch durchspickt von plötzlichen Begebenheiten, die ihn (den Leser und Daniel) in ihrer Absurdität aufschrecken und mit einem schwammigen Bauchgefühl hinterlassen. Irgendetwas ist hier faul.

Ein Gefühl, das ich bislang nur aus dieser oder jener Kleinstadt in Maine kenne. Ständig ist man nun im Zweifel, wo die Wahrheit verschwindet und die Fiktion beginnt. Jeder gelernte Grenzstein verschwindet unfassbar im Nebel der Worte.

Kein gutes Gefühl muss ich sagen.

Doch, es ist nicht nur Daniels Geschichte, es ist ein Projekt auf vielen Ebenen. Ein Buch, das von vielen erzählt und im Endeffekt doch nur von einem, denn alle losen und straff gespannten Fäden führen am Schluss zu Daniel zurück.

Es ist auch die Geschichte des Vaters, der seinen aneckenden Sohn mit Sorge beobachtet, aber dessen Probleme vor allem auf sich selbst bezieht..was werden die Leute denken, welches Licht wirft dieses Kind auf mich? sind die Fragen, die sein Handeln bis ins Letzte beeinflussen. Beschäftigt mit seiner durch die Schlecker-Kette bedrohten Drogerie (Ironie, die das Leben schreibt!), seinen zahlreichen Mittelschicht-Affären und dem Bewahren seines Ansehens als modernen Dorfschamanen. Den Blick in den eigenen Spiegel verwehrt ihm diese egozentrische Sorge um Daniel und hinterlässt ihn nur trübe sehend.

Aber es ist auch die Geschichte von Daniels Freunden, von Onno, Rainer und Steffen. Jeder von ihnen erlebt eine eigene Geschichte des individuellen Weltentsagens. Stets begleitet vom Dröhnen des klangewordenen Widerstands: Heavy Metal in allen Facetten.

Zuallerletzt Volker, der wohl die interessantesten Seiten beisteuert. Diese Freundschaft beginnt schon früh und Jan Brandt lenkt ein besonderes Augenmerk darauf. Es ist einerseits absurd, wie sich Volker bei Daniel anbiedert, andererseits anrührend. Lange meint man, er sei sein wahrhaftigster Freund gewesen.

Und immer wieder fragt man sich: Wer ist dieser Daniel und auf welcher Ebene erleben wir ihn gerade?

Ist er tatsächlich schuld an den Dingen, die ihm vorgeworfen werden oder entspricht sein verworrener Realitätssinn der Wahrheit? Wer ist hier eigentlich verrückt (in eine andere Welt)?

Nicht zuletzt sei gesagt, dass das Buch auch optisch und haptisch ein Meisterstück ist. Glatt und schwer liegt es in der Hand, mit einem viel(ver)sprechenden Einband, hauchfeinen Seiten und einer variantenreichen Typografie. Schwindende Wahrnehmung findet sich in verblassender Schrift, die Geschichte eines von Selbstmördern traumatisierten Zugführers zieht wie ein vorbeifahrender Zug auf 100 Seiten als Fußnote vorüber. Endlossätze, Gedankenschleifen, Druckintensivität, Briefe an deutsche Politiker - alles findet nicht als Aneinanderreihung von billigen Effekten sondern als durchaus ernstzunehmendes Werk zusammen. Eine für ein Debüt mehr als erstaunliche Betrachtung in den Menschen hinein, die jugendlichen Gruppen und deren seltsamen Eigendynamiken auf den Grund geht. Die auseinandergeht und zerfällt, doch am Ende fügt sich alles zusammen, springen die Scherben auf und werden ein zerbrechliches und gleichzeitig starkes Ganzes. Auf einmal erkennt man, wo die Risse ihren Anfang nahmen und erlebt ein überzeugendes Ende.

Doch: Es überzeugt mich nicht vollständig, es ist so, als würde ich das Geschehen ständig auf Distanz betrachten. Eher selten sind die Momente, in denen ich mitfühlte. Trotzdem bleibt das Gefühl, ein Stück literarischer Geschichte aufgesogen zu haben, bestehen und die Sprache...meine lieben Leser, da können wir noch viel von Jan Brandt lernen.

Zuguterletzt eine kleine Kostbarkeit aus diesem Wortreichtum...

Der besonders schöne Satz:

Der Kandis knisterte, die Sahne wölkte an der Oberfläche.

Mittwoch, 2. Mai 2012

Irène Némirovsky: Der Ball


Süß-bitter erzählt Irène Némirovsky von den Untiefen zwischen Mutter und Tochter. Verpackt als stichelnde Milieubeobachtung im Paris der 30er Jahre.
Der besondere Satz:

"Dann schickte sie ihre Tochter hinaus, indem sie mit ihrem schönen, nackten, etwas dick gewordenen Arm wedelte, an dem das Diamantarmband glitzerte, das sie gerade von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte und nur zum Baden ablegte."

So und mit diesem besonderen Satz habe ich jetzt fast das ganze Buch abgeschrieben. Besonders dick ist es nicht, aber das kleine Werk spricht Bände. Es lässt tief blicken in die verbitterten Abgründe der Emporkömmlinge.

Antoinette ist die 14-jährige Tochter von Madame Kampf, die dank einer glücklichen Schicksalswende plötzlich zu einer reichen Ehefrau wird. Doch zwischen den beiden schwelt der altbekannte Streit zwischen Mutter und Tochter in diesen Jahren. Die Mutter sieht die junge Dame noch als kleines Kind, in diesem Fall als kleines, eher unnützes Anhängsel wenn es um das Hinaufklettern der Belle Bourgeoisie geht. Die Tochter will viel mehr und träumt von der Welt der Reichen und Schönen, die ihr noch verwehrt bleibt.

Nichts wünscht sie sich mehr als auf den Ball gehen zu dürfen, den Madame Kampf bis in das dekadenteste Detail plant. Ihr Gesellschaftsdebüt soll es werden und in dieser strahlenden Zukunft hat die ungelenke, junge Antoinette noch keinen Platz.

Ein tiefer Groll tut sich auf und die Verschmähte sinnt auf Rache..
Gnadenlos und nüchtern, genau und sezierend legt die Erzählung jede Schwäche bloß. Nichts daran ist zart, sondern in seiner Kürze kantig und fast spröde.

Man ahnt, worauf es hinausläuft, doch das kommt der Spannungskurve nur zugute, an deren Ende Antoinette grausam auf die zerstörte Mutter herabblickend, erfolgreich aus dem Kampf hervorgeht.

Irène schreibt darüber, was sie kennt, schon immer eine Erfolgszutat für gelungene Literatur. Selbst als Bankierstochter, die, typisch für das Russland des Jahrhundertanfangs, ihre Bildung aus Paris bezog. Aber nicht nur die Sicht der Tochter, auch die der Mutter erlebte sie aus eigenem Leib - selbst zur Bankiersfrau geworden und dazu zweifache Mutter.

Das und 90 Seiten geballte Erzählkunst machen dieses kleine Buch zu einem ironischen Lesevergnügen.