Montag, 26. Dezember 2011

Stieg Larsson: Verblendung




Zeit, die Hosen runterzulassen.
Star Wars habe ich noch nie gesehen. Rambo kenne ich nur aus Erzählungen. Und die Millennium-Reihe habe ich erst jetzt angefangen.

Nachdem ich meine akute Hype-Allergie überwunden hatte, wurde ich doch neugierig. Sprachliche Desaster wie Dan Brown (aber immerhin spannend) und in die Lächerlichkeit abdriftende Alien-Theorien von Frank Schätzing haben mich äußerst misstrauisch gemacht. Und erst diese Schweden-Euphorie. Wieso schmücken auf einmal schwedische Krimis noch und nöcher die deutschen IKEA-Regale? Da wittert man doch nicht gesunden Literaturverstand, sondern eher eine gut geölte Marketingmaschinerie.

Was mich mal wieder gekriegt hat, war der US-Filmtrailer. Daniel Craig ist für mich einfach die Reinkarnation des jungen Sean Connery. Aber in einen Film zu gehen ohne vorher das Buch gelesen zu haben, das passiert mir höchstens mal aus Versehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Widerstandssegel zu streichen und die erste Seite aufzuschlagen.

Vermutlich bin ich der letzte Mensch, der das Buch gelesen hat, sollte wider Erwarten doch jemand von demselben fernen Planeten wie ich kommen, eine kleine Zusammenfassung.
Protagonist Nummer 1, Mikael Blomqvist, ist ein freier Wirtschaftsjournalist, mit Haut und Haaren seinem eigenen Magazin "Millennium" verpflichtet, das es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Dunklen Seiten von Wirt- und Gesellschaft zu hinterleuchten. Kein Wunder, dass er gleich zu Beginn der Erzählung, in einem Prozess steckt, der ihn beinahe die Reputation kostet. Nicht, weil er im Unrecht war, sondern weil der angegriffene Magnat ihn hinterrücks auf eine falsche Fährte lockte.

So geschlagen, wird er von Henrik Vanger angeheuert, um den fast vierzig Jahre zurückliegenden Mord an seiner Großnichte Harriet aufzuklären. Hier kommt der klassische Krimi ins Spiel, denn zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war die Insel von der Außenwelt abgeriegelt und der Verdächtigenkreis somit eingeschränkt. Vanger ködert Mikael mit dem Versprechen, ihm entscheidende Details für einen vernichtenden Schlag gegen besagten Wirtschaftstycoon an die Hand zu geben, wenn er ihm innerhalb eines Jahres den Mörder liefert.

Unter dem Vorwand, die Familiengeschichte in Prosaform zu fassen, beginnt "Kalle" Blomqvist vor Ort zu recherchieren. Damit setzt er die Sippschaft natürlich gehörig in Aufruhr und schon bald ist sein tatsächlicher Aufenthaltsgrund kein Geheimnis mehr.

Bald kommt Lisbeth Salander ins Spiel und komplettiert das Ermittlerteam mit ihren genialisch anmutenden Fähigkeiten. Doch natürlich ist Lisbeth keine anschmiegsame Romanfigur, nicht umsonst ist sie der Aufhänger der späteren Verfilmung. Als schwarzes Schaf einer ganzen Gesellschaft, mit dem Stempel der geistigen Unzurechnungsfähigkeit versehen steigt sie aus ihrer Opferrolle heraus, indem sie bei einem ihrer Peiniger den Spieß umdreht. Dass Lisbeth und Mikael in eine Beziehungskiste steuern, ist absehbar. Dass mit solchem Ausgangsmaterial kein Konflikt gescheut wird, auch. Leider ist auch das Ende nicht sonderlich überraschend, eigentlich fast eine der ersten Überlegungen, die man zu Beginn hat. Zu Larssons Verteidigung sei gesagt, dass dieses "Geschlossene Zimmer-Verbrechen" nur selten wirklich überraschend gelöst wird (brillantes Beispiel: Und dann gabs keines mehr von Agatha Christie).

Alles in allem gute Unterhaltung, in knappen Sätzen schafft Larsson eine düstere Kulisse, die gerade in der Winterzeit vor dem flackernden Kamin (eingebildet, in meinem Fall) kleine Spannungsmomente liefert. Aber dabei bleibt es dann auch. Der nächste bitte.

Fragt sich nun, worauf dieser Hype schon wieder beruht. Ist er auf die Posthum-Veröffentlichung? Die Moralität des Autors? Oder weil Nazi-Geschichten immer gehen? Vermutlich ist es wieder die gut gestrickte Vermarktungsmasche. Dazu kann ich nur sagen: Chapeau!

Zum Schluss noch ein Wort an die deutschen Verleger: Verblendung, ein furchtbarer Titel. Warum nimmt man so einen generischen Namen, wenn man bereits einen hat, der Bände spricht (Männer, die Frauen hassen)?


Samstag, 24. Dezember 2011

Nina Pauer: Wir haben (keine) Angst





Mal ehrlich, Nina Pauer hat einen Namen, bei dem man sofort vermutet, dem schlechten Wortspiel eines kalauernden Verlegers aufzusitzen. Aber der Name der Pauerfrau ist genauso real wie der Konflikt ihrer Generation, den man so gerne in die Luxusschublade stecken möchte. Unzufriedenheit trotz Überfluss, die Qual der Wahl, nicht nur "Eins, zwei oder drei", nein, es gibt viel mehr Türen, die man nehmen könnte. Und was, wenn wir die falsche nehmen?

Wenn hinter der anderen Tür nun die besseren Geschenke warten?

Ich mag diese pseudo-psychologischen Bücher, in denen die Mücke zum Elefanten transformiert wird, eigentlich überhaupt nicht. Wieder ein Generationenbuch, das zu Tode analysiert, dachte ich, als ich das Cover anschaute. Was für ein Glück, dass es das nicht ist. Pauer bleibt nicht abstrakt, sondern erzählt durch die Augen zweier Protagonisten, Bastian und Anna. An manchen Tagen bin ich Anna, an manchen Bastian, und vor allem - nicht allein mit den Luxusproblemen. Mit wem redet man darüber, dass man vor lauter Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, den Weg nicht mehr sieht? Eltern und Großeltern erstehen so etwas sicherlich nicht, denn damals hatte man noch echte Probleme. 68 sah die Welt noch anders aus und Jahre zuvor stand sie Kopf. Sie bemühen sich, uns zu verstehen, so wie sich immer um uns bemühen - aber nachvollziehen können sie es nicht. Es ist nahe an der Grenze zur Peinlichkeit mit ehemals Hungerleidenden, Revoluzzern und Kriegsverfolgten über die Angst vor dem morgendlichen Aufstehen zu diskutieren. Deshalb lassen wir das lieber und fragen uns, was da eigentlich nicht stimmt mit uns.

Damals sorgten wir uns um andere, um das große "Wir". Heute dreht es sich ganz undankbar um das "Ich". Nicht gerade eine weltverbessernde Auszeichnung.

Alle Türen stehen uns offen. Und auf einmal sind wir Alice im Wunderland. Die große oder die kleine? Passe ich überhaupt durch? Soll ich nicht vielleicht doch noch etwas warten, bis eine andere aufgeht?
Und schon verharren wir wie das Kaninchen, um plötzlich aufgehetzt davonzurennen und hektisch auf die ablaufende Zeit zu schauen.


Nina Pauer hat keine Lösung und auch keine Antworten, aber ein bisschen Relation für diese abstrakten Ängste. Irgendwie klingt es nachher nicht mehr so falsch, keiner geifert oder schaut schief, weil wir uns die Probleme selber bauen. Der erhobene Zeigefinger bleibt aus, wie auch jede andere wertende Geste. Ein Buch, das erzählt und trotzdem gewaltig an der coolen Fassade rüttelt.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

James Sallis: Drive







Wer jetzt meint, die Lesebestie habe meine Disziplin genüsslich verschlungen, irrt sich. Zumindest teilweise, denn das Lesen war nicht das Problem, aber beim Rezensieren haperte es gewaltig. Daher folgen jetzt in Kürze, ganze fünf Rezensionen aufeinander. Ich sag mal: geschenkt! Jetzt, wo doch bald Weihnachten ist..

Den Auftakt macht ein junger Mann, der diesen Monat in den deutschen Kinos aufschlagen und außerdem noch als neuer Alain Delon gehandelt wird. Die Rede ist von Ryan Gosling, der den "Driver" verkörpert. Nein, wir stürzen uns jetzt nicht Hals über Kopf in eine Filmrezension (nur ein wenig), aber tatsächlich war es der Film, der mich ursprünglich in Fahrt brachte. In einem französischen Kino vor nicht allzu langer Zeit saß ich mit offenem Mund und gebanntem Blick 100 Minuten vor der Leinwand und verfolgte den Helden, der sich selber nur, den Driver nannte. Fiel in der Originalversion natürlich nicht auf, beim Lesen des deutschen Titels stolperte ich aber jedesmal darüber. Natürlich klingt "der Fahrer" nicht sonderlich eloquent, aber seinen Protagonisten "den Driver" zu nennen, das mutet ja fast nach amerikanischem Trailer Park-TV an. 
Aber soweit war ich dort im dämmrigen Leinwandlicht noch garnicht. Hier war ich noch ziemlich begeistert von Goslings kleiner Meisterleistung, mit wenigen Worten viel zu sagen und eine interessante Figur zu stricken. Meine Brüder fanden den mangelnden Dialog nichtssagend und die Stuntszenen zu kurz geraten. Nun ja, Männern darf man eben keinen Actionfilm vorhalten und dann eine schmale Novelle bieten, die sich eher zwischen den Zeilen abspielt. Ich hoffe mal, die werten Herren verzeihen mir diesen Sidekick. (nur meine gute Erziehung verbietet es mir, an dieser Stelle einen fett grinsenden Smiley einzufügen)


Der Film machte tatsächlich Lust auf mehr, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass da noch eine Menge Hintergrundmaterial literarisch verarbeitet sein müsste. 
Kaum hielt ich das Ursprungswerk in den Händen, war sofort klar: auf den wenigen Seiten muss ganz schön viel passieren. Das ist James Sallis tatsächlich gelungen: Wie ein Gewehrfeuer prasselt ein Satz nach dem anderen herunter und ehe man sich versieht, hat man das dünne Buch auch schon durch.

Die ganze Geschichte passt auf ein Reiskorn: Einsamer Held gerät in ein Komplott und übt Stück für Stück Rache an den bösen Buben. Daraufhin wird er zu einer mordenden Lucky Strike-Version, die ihr ultimatives Ende in der Verfilmung seines Lebens mündet. Stelle mir gerade vor, dass er möglicherweise im Kino neben mir saß und skeptisch auf seine Leinwandwerdung schaute.


Er ist ja auch nur so reingeraten. Neben seiner tages- und scheinwerferlichttauglichen Tätigkeit als Stuntfahrer ist er auch below the line aktiv: als Fluchtwagenfahrer. Einmal geht es jedoch schief, der einsame Cowboy reagiert instinktiv und plötzlich sitzt er mit drei Leichen und einem Haufen Geld da.

Trotzdem war ich deutlich irritiert. Was vor der Kamera passiert war, war klar. Der Film sortiert das Buch, nicht nur chronologisch, sondern verpasst ihm auch eine Spannungskurve, wo vorher nur Ausschläge nach oben waren. Packt es in eine emotionale Hollywood-Klammer. Auf die ich gleich angesprungen bin, wie ich gestehen muss. Wenn auch Gosling mit seinem Buchstabenvorbild so manches gemeinsam hat, ist er doch nicht so emotional eiskalt und furchtbar nüchtern. Ja, man beginnt sogar, ihn irgendwie gut zu leiden, möchte ihn fast für einen Vertreter von Moral und eines sehr eigenen Gesetzes handeln. 
Nun weiß ich auf einmal auch, warum eine Frau, ein Kind und eine Dreiecksgeschichte im Film deutlich aufgeblähter und streckenweise neu erfunden auftauchen. Irgendwie musste man den Lonesome Rider sympathisch machen.


Das Buch ist deutlich nüchterner und verrät nur äußerst wenig über Drivers Hintergründe. Wie kann ein so junger Mann so abgebrüht und durchstrukturiert sein? Weil seine Mutter dem Vater am Frühstückstisch das Ohr wegsäbelte. Ja, das könnte sein! Und was noch? Nichts mehr. Es kommt einfach nichts mehr. 


Dafür sitzen die Sätze präzise wie ein Schuss zwischen die Augen. Frage am Rande: Wann hat der gute Mann eigentlich seine Scharfschützenausbildung absolviert? Oder ist er einfach nur intelligent und legt deshalb die lokale Mafia so locker aufs Kreuz? Man muss zugeben, besonders schlau, stehen die bewehrten Italiener aber auch nicht da. Schließlich bietet er ihnen auch an, die Viertelmillion, die sich nun auf einmal in seinem Besitz befindet, einfach so zurückzugeben. Ist wohl nicht so üblich. Und das verwirrt die Mafiabosse, die kurz vor einem Burn-out stehen, ordentlich.
So sehr, dass sie ihm lieber systematisch die Hölle heißmachen. Das gefällt wiederum dem Driver nicht und kurzerhand dreht er den Spieß um.


Ihr habt es ja so gewollt, sagt sein trotziger Blick.

Gut, man mag sagen, das Buch spricht schon zwischen den Zeilen tausend Bände und es ist auch eine hehre Kunst mit wenigen Worten eine Menge zu sagen. Aber welche Leistung erbringt der Autor eigentlich, wenn ich mir die ganze Geschichte selber zusammen spinnen muss? Es ist, als würde ich einen Dalí betrachten. Reininterpretieren kann man in diese präzise Unbestimmtheit ganz schön viel.

Um zum Abspann zu kommen. Das Buch ist, meiner Meinung nach, hochkonzentriert zu genießen, um die zeitlichen Vor- und Rücksprünge und die dicht gedrängten Handlungsstränge zu entwirren. Der Film hat mir diesmal besser gefallen und am liebsten würde ich ihn mir gleich nochmal im Autokino anschauen. Aber vielleicht finde ich auch Ryan Gosling einfach zu heiß. Hach.