Montag, 31. Oktober 2011

Hermann Hesse: Siddharta



Sieben Jahre ist es her, dass ich Hesses wohl östlichstes Werk mit Umschlag und Fasern verschlungen habe. Dementsprechend kann man sich vorstellen, dass mir schon etwas bang davor war, entzaubert zu werden. Denn in all den Jahren war mir der der Siddharta als vollkommenes, poetische Werk in Erinnerung geblieben.

Und wir wissen ja alle: früher war immer alles besser.

Zu meinem Glück hatte Hesse kein bisschen an Magie verloren und nachdem ich mich die ersten Seiten tatsächlich wegen der allzu blumigen Sprache fremdschämte, schämte ich mich am Ende eher vor meinen kindischen Berührungsängsten mit schöner Sprache. Die ich als solche nicht gleich entlarvt hatte.

Trashfernsehen und bunte Gegenwartsliteratur setzen das Mindesthaltbarkeitsdatum des eigenen Sprachgefühls ganz ordentlich herab.

Inmitten den bis dahin größten Turbulenzen, in denen sich die westliche Welt damals befinden konnte, nach einem Weltkrieg, völlig beschäftigt mit sich selber, setzte sich Hermann hin und schuf etwas, das aus einer ganz anderen Welt stammte. Trotzdem gelang es ihm, eine Brücke zwischen fernöstlicher und westlicher Kultur zu schlagen und ein universales Gedicht über das Leben an sich zu schaffen. 

Er schrieb über einen Buddha, der nach Meinung vieler, näher an die Idee des echten Buddhas herankommt als der historische Buddha selber.

Tatsächlich erging es ihm ein wenig wie Van Gogh, dessen Blumen erst nach seinem Tod echte Anerkennung fanden. Hesses Blumenkäufer war die Hippiewelle der Siebziger, die sich mit Enthusiasmus auf diese Bibel der Neuzeit stürzte. Schön ist, dass Siddharta nicht predigt, nicht zurechtweist, sondern nur erzählt und dabei tief berührt. 

Henry Miller, der, wie es das Nachwort erzählt, für den Siegeszug dieser kleinen Legende verantwortlich war, sagte ganz treffend: 

"Für mich bleibt Hesses Siddharta eines der einfachsten und tiefsten Bücher, das ich je gelesen habe. C.G. Jung langweilt mich unsäglich - aber das tun ja die meisten Psychologen -, während es Hesse schafft, uns Zen zu vermitteln, ohne das Wort überhaupt je zu erwähnen."

Nun sollte ich aber auch etwas über das vielgelieb- und -lobte Werk selber erzählen.

Bei den letzten Büchern bin ich regelrecht zum Eselsohrjunkie geworden, mit Siddharta habe ich meinen ersten, persönlichen Rekord aufgestellt. Jede Seite ist voll von Antworten auf grundlegende Fragen. Ein Buch, auf dem eine ganze Lebensphilosophie aufbauen kann. Dabei ist es genau das Gegenteil, dass Hesse mit diesem Werk ausdrückt: man muss keiner Lehre folgen, um ein vollkommener, weiser Mensch zu sein.


Siddharta erzählt auf wenigen Seiten sehr viel: über die Beharrlichkeit, Askese, die Unverletzbarkeit des Geistes, die Kunst der Liebe, Tief- und Höhepunkte, die Tiefgründigkeit von Flüssen und Meeren, darüber, dass wir alle immer dieselben grundlegenden Konflikte erleben und dass Lehren ohne Menschen, die sie leben, nichts als leere Worte sind.


Serviert mit: Grünem Tee
Dazugehört: Frank Sinatra - My way

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Monika Maron: Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche.





Was für ein treffendes Buch. Was mich von Frau Maron unterscheidet, ist, dass ich nicht bereits schon ein paar hochgelobte Werke in die deutsche Literaturszene entlassen habe. Aber worüber sie schreibt, versteht jeder, der sich schonmal an das Projekt Eigenes Buch gewagt hat, sofort.

Sie möchte eine Fortsetzung zu ihren Werken schreiben, die Hauptperson, Johanna, und ihre Geschichte existiert also bereits in Frau Marons literarischer Welt. Es gibt auch ein Ende, an das sie ansetzen kann: Johanna findet einen Hund am Straßenrand und nimmt ihn mit.

Was zunächst einfach erscheint, fällt auf einmal unglaublich schwer. Was passiert als nächstes, wer kommt hinzu, welche Rolle spielt der Hund? Und schließlich die Frage, die sie bis zum Ende beschäftigt: Wer erzählt eigentlich? Jede Erzählperspektive verändert das Buch sofort. Wie, das liest sich schön in den vielen Anfangsversuchen der Autorin. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, schrieb Hesse und er hatte ja so recht. Welchen Zauber wählt die Autorin? Wohin soll die Geschichte gehen?


Wenn der Hund gleich zu Beginn Streitgrund zwischen Johannas und ihrem Mann wäre, drehte sich die Geschichte dann plötzlich ungewollt nur noch um den Vierbeiner? Zuviel Gewicht für den Hund, der eigentlich nur eine spontane Idee am Ende eines Buches war.


Jede Entscheidung, jeder Satz löst eine andere Handlungskette aus. Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche ist der Schmetterlingseffekt in buchgewordener Form.


Sehr leicht zu lesen, in einer schwerelosen, eleganten Schreibe, wofür ich sowieso schwärme. Ein Buch, das genau genommen gar keines ist. Eher eine kleine Ode an das schwere Handwerk des Schreibens.


Irgendwie nett, der Gedanke, dass beim Schreiben einer Schreibblockade ad hoc ein neues Werk entsteht.

Serviert mit: Schwarzem Tee
Dazugehört: das Rauschen des Regens

Mein lieber Hesse!

Endlich ausgepackt und nach 7 Jahren wieder in der Hand: Siddharta.
Das Buch habe ich geliebt, als ich gerade 20 geworden bin und meine erste Wohnung hatte. Die kalten Wintermonate waren damals gerade im Anmarsch und ich habe mich mit Hesses Interpretation einer indischen Dichtung unter einer Decke verkrochen habe (passenderweise war meine Heizung im Streik). Ich weiß noch, wie sehr mich das Buch damals angespannt und entspannt zugleich hat.

Und nun bin ich neugierig, nach Jahren nochmal Siddhartas Weg mitzugehen.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Die Zukunft des Buches. eBook vs. Buch

Immer wieder lasse ich die Bemerkung fallen, dass mir das eBook trotz seiner anfänglichen Bedrohung meines Bücherschranks nur mehr ein müdes Lächeln entlocken kann. Erst dachte ich, es könnte tatsächlich passieren, dass es mir mit all seinen praktischen Eigenheiten den Rang des Buches ablaufen könnte (gegen meinen Willen wohlgemerkt!). Doch über diesen Berg bin ich zum Glück hinweg.

Natürlich wirft dieses selbstsichere Gehabe auch Fragen auf, zum Beispiel: Was sind deine Gegenargumente? Aus ganz praktischen Gründen kommt meine Antwort hier. Dann kann ich faule Socke auch immer auf diesen Post verweisen.

Mit e-Book-Reading meine ich in meinem Fall das Lesen auf dem iPad oder anderen Tablet PCs, das sich bei einigen der Punkte sicherlich von einem Kindle unterscheidet. Und: es handelt sich um mein ganz persönliches Empfinden. Ich weiß, dass viele Menschen das anders sehen und möglicherweise sogar mehr lesen, weil es für sie praktischer oder cooler geworden ist. Das finde ich, sollte auch so bleiben, denn Bücher sind da, um gelesen zu werden. Egal in welcher Form.


Was ich doof finde

1. Kopfschmerz lass nach. Wenn ich schon den ganzen Tag vor dem Bildschirm verbringe, will ich ihn nicht auch noch mit ins Bett nehmen.

2. Soviel Ablenkung. Oh eine Mail. Ah, dein Mais muss geerntet werden. Ein Post auf Facebook. Ach, das erinnert mich daran....ich wollte doch Gummistiefel kaufen. Was kosten die noch gleich?

3. Dann dreht sich das verrückte Ding immer in die falsche Richtung wenn ich im Liegen lesen will. Das Lesen wird zur Sportveranstaltung und am Ende hab ich Nackenschmerzen.

4. Keiner sieht das Cover in der U-Bahn und kann mich heimlich für meine Intellektualität bewundern.

5. Eselsohren! Unterstrichene Passagen! Herausflatternde Lesezeichen! Mal ehrlich, in virtuell geht das doch auch... Ernsthaft? Nein, ich will Haptik!

6. Bücher in freier Wildbahn. Ich liebe amazon, aber meinen Buchhändler mag ich mehr. Onlineshopping ersetzt mir nicht das Schlendern durch einen Buchladen, das Streichen über aufgereihte Buchrücken, der Geruch nach neuem Papier, das Rüberlinsen, was sich andere so ansehen, herausgreifen, wobei sie zum Schmunzeln oder Stirnrunzeln gebracht werden. Kaffee und Kuchen mit der Neuerwerbung.

7. Alte Bücher. Das selbe gilt für antiquarische Bücher. Noch mehr Charme, noch mehr Gelesenes. Ich liebe das einfach und hier lasse ich mich auch mal zum Onlineshoppen durchringen, weil es das gesuchte Werk sonst nirgends gibt. Und erst recht nicht als eBook.

8. Das Bücherregal hinter mir. Bald brauche ich noch eins. Und noch eins. Das ist doch besser als jede ausgetüftelte Ansammlung von Facebookgruppen zur Selbstdarstellung. Schon nach Sekunden in meinem Zimmer weiß jeder, dass ich Bücher liebe. Und entweder findet die Person dort eines, das ihr gefällt, oder wir haben kein Gesprächthema.


Was ich immer noch gut daran finde

1. Sie haben Übergepäck! An den Büchern liegt's diesmal nicht...

2. Wer war das noch gleich und wo kommt er her? Schnell geklickt und schon habe ich die Antwort.

3. Zeitungen mit Potenzproblemen (sprich Riesenformate) sind für mich auf einmal superhandlich. Und ich kann sie immer und jederzeit herunterladen.

4. Wieder ein Baum mehr im Regenwald, weil ich kein Buch gekauft habe.



5. Online-Magazine. Funktioniert einfach, wenn es nicht nur ein schnödes Pdf ist. Zum Beispiel bei der Süddeutschen Zeitung.


Conclusio

Der Statistiker würde sagen, statistisch gesehen, gewinnt das gute, alte Buch. Dann würde er seine Brille die Nase hochschieben und wieder gehen.

Aber so einfach ist das nicht. Egal wie viele Für und Wieders es gibt, ich habe einfach festgestellt, dass es mir selbst nichts nützt, dass ich die neuesten, interessantesten Bücher auf dem iPad habe. Ich habe einfach keine Lust, es in die Hand zu nehmen und darin zu blättern (ja, genau!). Stattdessen laufe ich in meinen Buchladen, fasse das Buch an und schwupps ist es gekauft. Wer immer noch nicht nachvollziehen kann, warum mich das eBook nicht gekriegt hat, für den habe ich ein paar Bilder.











The End.


Samstag, 22. Oktober 2011

Es nennt sich Buchmesse.

Also wirklich. Ich bin enttäuscht.
Wenn diese Bezeichnung nicht irreführend ist. Das war keine Buch- sondern eine Menschenmesse.
Letzte Woche hat es mich (zum ersten Mal in meinem jungen Leben) auf die Frankfurter Buchmesse verschlagen. Trotz widriger Umstände wie einem horrenden Schlafdefizit konnte mich nichts davon abhalten, endlich in das - so stellte ich es mir zumindest vor - Paradies der Bücher einzutauchen.

Was mich erwartete, war leider etwas völlig anderes als ich erwartet hatte.

Ein riesiges Areal voller Bücher, Autoren und Essen, was will der Mensch mehr? Was er nicht mehr wollte, wurde schnell klar: Andere Menschen (Tausende!), verschollene Autoren, nicht verkäufliche Bücher und ansonsten dasselbe Angebot wie beim Buchhändler des Vertrauens. 

Außerdem ein Verkleidungsfieber bei den Comicfreunden wie beim Karneval. Musste mehrfach vor Pikachu, Supermario und wildgewordenen Elfen flüchten.


Von Walter Moers, geschweige denn dem mysteriösen Hildegunst von Mythenmetz und seinem neuesten Werk (Das Labyrinth der träumenden Bücher) war nichts zu sehen, nur ein Nachrichtenblatt aus dem fernen Zamonien.

Das traf mich wirklich schwer, hatte ich doch gehofft, den deutschen Meister der Fantasie endlich in persona anzutreffen. War aber leider nichts.Das Buch ist trotzdem schon bestellt und hoffentlich für übernächste Woche auf dem Nachttisch...



Die Papeterie war es erstaunlicherweise, die den ganzen Spaß doch noch zu einem werden ließ. Mit netten Gimmicks, Mitbringseln und weisen Sprüchen.


Ganz besonders hängengeblieben ist der hier:
Man muss nicht in der Pfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel zu schreiben. So zitiert eine Serviette Maxim Gorki.  Die poetischen Russen haben eben immer recht, besonders wenn's ums Essen geht.

Ein paar Anregungen habe ich schlussendlich doch noch gefunden, das Stilwörterbuch, das ich mir unbedingt zulegen möchte, und Schreiben unter Strom.

Wir haben gesucht und gesucht, aber nicht viel gefunden. Erlösung brachten weder die ganz nette Twitterwall, die Tweets live ausdruckte, noch das Antiquariat. Ach stimmt, Island war Gastland. Hat man leider kaum gemerkt - die Ausstellung dazu war...auch nett. Lauter Isländer, die beim Lesen gefilmt wurden, in einem dunklen Raum auf riesenhaften Leinwänden angeordnet. Schöne Idee, aber was bitte sagt mir das über Island?

Und wo waren all die intellektuell vielversprechenden jungen Männer mit Hornbrille, dem Roman eines aufstrebenden russischen Randautors unterm Arm und Rilke im Kopf? Ne, stattdessen Groß und Klein aus aller Welt, eine Auswahl wie in der Fußgängerzone. Pff.
Dabei ist doch ganz leicht ersichtlich, was ich wirklich möchte. (man ignoriere den leicht debilen Blick)


Wir sehen uns dafür nächstes Jahr in Leipzig. So schnell gibt ein Fan ja nicht auf.


Freitag, 21. Oktober 2011

Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten.



Serviert mit: MAOAM, Stück für Stück
Dazugehört: das Rauschen der U-Bahn



Ruhm sieht für jeden anders aus. Und genauso verschieden sind die neun Geschichten von Daniel Kehlmann, die in ihrer Kürze gefühlt für jeweils 15 Minuten dieses Thema einfangen sollen.

Alle Erzählungen sind jedoch miteinander verknüpft, teilweise über die Grenzen der Realität hinaus. Romanfiguren erwachen plötzlich zum Leben, Internetruhm greift gierig durch die virtuellen Mauern und ein und derselbe Autor taucht in jedem Kapitel auf.

Interessanterweise geht Ruhm in diesem Buch oft mit Personenverwechslung oder Doppelleben einher. Mit Anerkennung an sich, aufgrund der eigenen Verdienste, haben die Geschichten wenig zu tun. Und wenn doch - wie bei Internetjunkie Mollwitz, der sich in Foren zu mächtigen Meinungen hervortut, auf dem Rednerpodest vor einem greifbaren Publikum jedoch kläglich versagt - zeigt uns Kehlmann in einem Zug die glanzlose Kehrseite.

Ein interessantes Konzept.
Und doch fehlt mir etwas. Berührt oder beschäftigt hat mich keine der Geschichten wirklich.

Kehlmann schreibt nicht immer so, ich erinnere mich an "Die Vermessung der Welt", die mich mit ihrem subtilen Witz gleich in den Bann gezogen hat.

Vielleicht finde ich keine echte Verbindung zu den Figuren, weil Kehlman anspricht, umreisst und dann schon die nächste Episode erzählt. Dabei sind es keine aktionsstarken Texte, der Schwerpunkt liegt im Innenleben der Protagonisten.

Ich konnte es nicht lassen und habe mir auch andere Rezensionen durchgelesen, weil mich das Buch etwas ratlos zurücklässt und ich nicht so recht wusste, was ich darüber denken möchte. Und plötzlich erschließen sich mir Zusammenhänge, die mir beim Lesen entgangen sind. Auf einmal wird aus dem Gewirr von Geschichten ein einziger, ineinander verflochtener Roman und zum ersten Mal begreife ich den Untertitel.

Ist das nun gut oder schlecht? Ich denke an den Witz, bei dem man die Pointe noch einmal erklären muss. Immer noch schaffe ich es nicht, das Buch für mich persönlich zu werten und ich fürchte fast, das wird sich nie ändern.

Montag, 17. Oktober 2011

Leonie Swann: Garou.


Ausgelesen. Und das noch vor der Buchmesse, zu der ich in einem anderen Post auch noch ein paar Worte verlieren werde.

Während des Schmökerns im Schafkrimi habe ich mir schon überlegt, wie ich wohl am besten über das wollige Werk berichten soll. Natürlich darf eine Inhaltsangabe nicht zu kurz kommen - aber auch an Stimmung soll es nicht mangeln.

Die Schafe, die wir schon aus Glennkill kennen, ermitteln wieder. Diesmal grasen sie auf französischem Boden (Und hier fragt man sich, wie kommen britische Schafe nach Frankreich? ...das darf der Leser aber selber herausfinden.), der von einem Werwolf bedroht wird. Ein Werwolf? Ja richtig. Das passt garnicht so richtig in eine Hommage (Schaffage? Moutonage?) an Agathie Christie, will man meinen. Und richtig, so kann es auch nicht ausgehen. Trotzdem ist es nicht minder spannend.

Am Anfang dauerte es, bis ich in das Buch hineinkam, es kam mir zunächst sogar äußerst träge vor - im Gegensatz zum Debüt. Zum Glück sollte ich mich aber irren, denn am Ende kam ich vor lauter Lachen manchmal nicht mal mehr einen Satz weiter.
An ein paar der schäfischen Perlen will ich euch nun aber unverblümt teilhaben lassen (ja, ich verkneife mir die Biologismen gleich).

Zum einen, die wundervolle Perspektive, die so ein vierbeiniges Wollknäuel auf uns haarlose Zweibeiner hat:
Die Menschen sahen nicht die Dinge die da waren, sondern die Dinge, von denen sie dachten, dass sie da waren. Meistens dachten sie zu wenig an Schafe. Und wenn sie auf etwas trafen, das sie nicht denken konnten, waren sie hilflos wie die Lämmer.

...oder auf den Rest der Welt:
"Und weißt du, worauf das hindeutet?" Mama machte eine dramatische Pause.
"Auf etwas Übernatürliches!"
Die Schafte schwiegen beeindruckt. Übernatürlich! Noch natürlicher als natürlich! Gras war natürlich, Kraftfutter nicht ganz so natürlich und Plastik war gar nicht natürlich und fast ungenießbar. Etwas Übernatürliches hingegen musste eine wahre Delikatesse sein!


Womit wir beim Essen, beim Schlemmen und Genießen wären. Und der naiven Weisheit, die allen genussorientierten Wesen anheftet. Wie Obelix. Oder Garfield.
Der heilige Strohsack war ein ganz besonderer Strohsack, der von Rebecca nur bei wichtigen Gelegenheiten angerufen wurde. Die Schafe hatten ihn noch nie gesehen, aber sie konnten ihn sich sehr gut vorstellen; prall und groß und golden und duftig.

Ein bisschen gemütlich und abenteuerscheu sind sie auch, gerade so als würde ein kleiner Hobbit in einem jeden von ihnen sitzen und nachdenklich mit den behaarten Zehen wackeln. Und wir wissen ja alle: Hobbits sind das Geheimrezept für erfolgreiche Epen.
"Und wir suchen den Garou!", sagte sie.
Die Schafe machten lange Gesichter.
Suchen - na gut!
Finden wollte den Garou keines von ihnen.

Wenn Leonie Swann bildlich wird, dann macht sie es richtig. Dann sitzen die Vögel fett und trotzig in den Zweigen und alle Dinge werfen lange, dünne Schatten.
Wenn mir nicht Ranickis rollendes, kritisches Geschnarre mahnend im Kopf kreisen würde - möchte ich fast rufen: Alleine schon für solche Sätze werden Bücher geschrieben! Aber Marcel sagt, und damit hat er recht, es braucht mehr. (und dass er den Preis nicht annimnt. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Das ist ok, denn die Autorin kann mehr. Zum Beispiel, jedem Schaf eine ganz eigene, liebenswerte Persönlichkeit verpassen.
Mopple sah nicht hin. Ein winterkahler, europäischer Ginsterbusch, der seinen Namen kannte? Die Sache gefiel ihm nicht. Was würde als Nächstes kommen? Er sah sich schon in wilde Diskussionen mit einem Büschel Dicklippkraut verstrickt.

Und Dialoge, das kann sie besonders gut.
"Es ist eine Frage von vor vielen, vielen Jahren", flüsterte Amaltée.
"Mindestens fünfen", sagte Kalliope.
Die drei jungen Ziegen schauderten angesichts der gewaltigen Zeiträume.


Zum krönenden Abschluss. So sieht ein Date mit etwas Alkohol aus Schafssicht aus:
Rebecca und der Häher hatten sich in einem der vielen Räume niedergelassen, saßen auf plüschigen Dingen und tranken übel vergorene Flüssigkeit.


Wer es nicht schon längst geahnt hat, dem gebe ich es jetzt schriftlich: Prädikat lesenswert!

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Oh weh, oh weh.

Noch gut 200 Seiten und eigentlich wäre schon das nächste Buch fällig. Wahrscheinlich sollte ich nicht mehr nur in der U-Bahn lesen, sondern auch laufend. Wie früher, auf dem Heimweg von der Bücherei. Dumm waren nur die Straßenlaternen, die mir aus heiterem Himmel in den Weg sprangen.

Wie es aussieht, habe ich auf jeden Fall große Ziele für heute abend: Badewanne (da gibt es nämlich kein Internet) und Garou fertig lesen.

Es muss danach etwas kurzes her, habe mir ja Siddharta überlegt, aber nun die Befürchtung, dass es mir für zu kurze Zeit zu hochgeistig sein könnte.

"Ruhm" von Daniel Kehlmann liegt auch noch auf meinem Nachttisch...eigentlich schon zu drei Vierteln ausgelesen. Also ein kleiner Betrug am Rande. Aber ich nenne es einfach die Freiheit des Lesers, aus der Not geboren.

Riesig freue ich mich auf: meine erste Buchmesse! Am Samstag geben sich gleich zwei meiner Lieblingsautoren, Walter Moers und Rafik Schami, die Ehre und lesen in Frankfurt. Moers hat auch gleich sein neuestes Werk im Gepäck und ich hoffehoffehoffe auf ein signiertes Exemplar, das gleich nächsten Montag auf de Nachttisch landet.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Schäfchen lesen.

Andere Autoren haben es schon vorgemacht und Mordfälle aus Tierperspektive betrachtet. Natürlich allen voran die schlauen Katzentiere, der altkluge Kater Francis bei Akif Pirincci, die bezaubernde Mrs. Murphy bei Rita Mae Brown. Pferde, Schweine, Hunde, wer hat nicht schon alles ermittelt.

Leonie Swann hat ausgerechnet eine Spezies zur Tatortelite erkoren, die man sonst eher zum Einschlafen findet: Schafe. Erstaunlicherweise macht sie das mit soviel Charme und Witz, dass ich mich schon bei dem Schafdebüt Glennkill stark an Agatha Christies Meisterkünste erinnert fühlte. Kein Wunder, dass das Oberdetektivschaf Miss Maple heißt.

Im ersten Band beisst ausgerechnet der Schäfer ins Gras. Kein Wunder, steckt doch ein Spaten mitten in seiner Brust. Seine einzige Tochter tritt das wollige Erbe an und ermittelt (unwissend) gemeinsam mit der bunt gemischten Herde, die den Mörder schließlich zur Strecke bringt. Schon ein Blick in die Charakterbeschreibungen vornweg brachten mich ziemlich zum Schmunzeln und sind ein guter Vorgeschmack für die gewitzten Dialoge.

...
Cordelia_ein idealistisches Schaf
Willow_ ist das zweitschweigsamste Schaf der Herde und niemand bedauert das.
Das schweigsamste Schaf der Herde.


Jetzt liegt Band zwei, Garou, halbgelesen bei mir auf dem Nachttisch und - ihr habt es schon bemerkt - es ist Sonntag und die Uhr tickt. Fies,wenn man so krank ist, dass man keine zwei Seiten am Stück lesen kann. Aber natürlich kein Grund, aufzugeben. Sowieso besser als Schäfchen zählen.

Freitag, 7. Oktober 2011

George R.R. Martin: Der Thron der Sieben Königreiche (3)



Serviert mit: Kartoffelchips und Cola 
Dazugehört: Game of Thrones - OST

550 Seiten geballte Männerfantasien.
Nein, es ist nicht das, was der geneigte Leser gleich vermutet. Vielmehr geht es hier um epochale Fantasy-Prosa, die von vielen Seiten zum Nachfolger Tolkiens gekrönt wurde. Das kann ich so aber nicht unterschreiben. Während bei J.R. behände Elben, putzige Hobbits und grundböse Wesen die Saga um Mittelerde erschaffen, ist George R.R. deutlich profaner. Protagonisten sind Menschen wie du und ich. Nur, dass sie sich alle um die Krone der Sieben Königreiche kloppen. Aber bevor ich euch mitten in die Handlung schmeisse (dies hier ist bereits der dritte Band), einmal ganz von vorne.

Das Lied von Eis und Feuer hat einen ganz schön langen Atem, inzwischen gibt es fünf englische Bände à 1.000 Seiten - für uns Deutsche wurden die ersten vier mundgerecht in acht Bände aufgeteilt. Mindestens zwei weitere Titel hat Mr. Martin bereits angekündigt. Da können wir also nur hoffen, dass der Gute durchhält. Nicht, dass im mitten im Geschehen die Puste ausgeht und wir ohne Ende dasitzen.

Die Handlung, grob umrissen: Die drei großen Adelshäuser Lannister, Baratheon und Stark kämpfen um die Krone von Westeros, die durch einen hinterhältigen Königsmord wieder frei verfügbar ist. Dabei hintergehen und bekämpfen sie sich so ordentlich, dass auch Minderheiten wie die fiese Drachenlady Daenerys mit ihren Kohorten nach einem Stück vom Kuchen (oder dem ganzen) gieren.

Schauplatz des Geschehens ist eine mittelalterliche Kulisse, von der Guillotine bis zum Gaukler ist alles dabei, was uns in die Ränke und das bunte Treiben dieser Zeit versetzt. Im Norden von Westeros ragt eine gigantische Mauer auf, die das Land von den Anderen, seltsame Wesen, und sonstigen übellaunigen Gestalten trennt. Ja, selbst Tolkiens Nachfolger braucht ein paar Fantasiegestalten.
Was es mit ihnen auf sich hat, habe ich bis jetzt nur am Rand erfahren. Ich schätze, die Handlung wird sich in diese Richtung entwickeln, auch wenn sich momentan alles um die rein menschlichen Angelegenheiten dreht.

Ihr seht, eindeutig ein anderes Kaliber als Tolkien, deswegen aber nicht minder spannend. Was beide definitiv gemeinsam haben: eine unglaubliche Fülle an komplexen Charakteren und eine verschachtelte, sich bei Lesen immer weiter öffnende Welt. Aber bei diesen Vergleichen belassen wir es, ihr wisst ja, Äpfel und Birnen..

Mein Kollege, der mich in die Krakenarme dieses Fortsetzungsepos lockte, warnte mich bereits vor. Lass dir die Charaktere nicht zu sehr ans Herz wachsen. Und er hatte recht. Der Schöpfer scheut nicht davor, Hauptcharaktere in einem Nebensatz einfach so sterben zu lassen. Fies. Aber so ist das im Leben.
Besonders viel Lebendigkeit und Komplexität schafft er durch seinen Erzählstil. Jedes Kapitel eröffnet buchstäblich eine neue Sichtweise, denn sie werden aus der Sicht verschiedener Charaktere erzählt. Dadurch, dass in jedem weiteren Band neue Figuren zum Zug kommen, kann sich die Einschätzung sehr schnell wandeln. Eben noch ein Ungeheuer, ist der verschiedenäugige Zwerg auf einmal durchaus menschlich.
Ebenso wandeln sich die Protagonisten - wenn es überhaupt einen festen Stamm von Hauptfiguren gibt - im Erzählfluss. Großer Pluspunkt für den Autor, denn er macht es sehr gekonnt, ohne aufgesetzt zu wirken.

Der Schreibstil ist solide, vielleicht für manche Geschmäcker zu wenig erzählerisch. Meiner Meinung nach gerade deshalb richtig, weil die zahlreichen Handlungsstränge und die ganze Charakterwelt nicht in den Hintergrund gedrängt werden.

Ein letzter Absatz noch dazu: Faszinierend ist es, zu sehen, wie viele kleine Geschichten, die ich aus anderen Fantasybüchern kenne, hier ihren Platz finden. Jedoch nicht auf eine Weise, die kopiert, sondern neu erfindet. So erinnert mich zum Beispiel Arya Stark, ein kleines, wildes Mädchen aus einem der Adelshäuser, die sich auf der Flucht als Junge verkleidet, an eine Geschichte, die ich frühpubertär verschlungen habe...

Ich halte euch auf dem Laufenden!

Ich bin nicht tot.

Nur krank.